Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU

Die Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EG wurde mit der Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU geändert. Die neue Niederspannungsrichtlinie ist von den Mitgliedstaaten seit dem 20. April 2016 anzuwenden.

Mit der Änderung wurde die Niederspannungsrichtlinie an die gemeinsamen Grundsätze und Musterbestimmungen des EG-Beschluss 768/2008/EG "Gemeinsamer Rechtsrahmen für Binnenmarktrichtlinien" angepasst.

Anwendungsbereich:
Die Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU gilt nach ihrem Artikel 1 für:

"[...]
Diese Richtlinie gilt für elektrische Betriebsmittel zur Verwendung bei einer Nennspannung zwischen 50 und 1 000 V für Wechselstrom und zwischen 75 und 1 500 V für Gleichstrom mit Ausnahme der Betriebsmittel und Bereiche, die in Anhang II aufgeführt sind.
"

Nicht definiert ist, was die Richtlinie unter dem Begriff "elektrische Betriebsmittel" versteht. Hierzu erläutert der EU-Leitfaden zur Niederspannungsrichtlinie in einer Fußnote zu seinem "§ 6 Für welche Produkte gilt die Richtlinie":

"Der Begriff „elektrisches Betriebsmittel“ wird in der Richtlinie nicht definiert. Er ist daher entsprechend der international  anerkannten  Bedeutung  dieses  Begriffs  auszulegen.  Im  „Internationalen  Elektrotechnischen Wörterbuch“  der  Internationalen  elektrotechnischen  Kommission  (IEC)  wird  der  Begriff  „elektrisches Betriebsmittel“  wie  folgt  definiert:  „Produkt,  das  zum  Zweck  der  Erzeugung,  Umwandlung,  Übertragung, Verteilung oder Anwendung von elektrischer Energie benutzt wird, zum Beispiel Maschinen, Transformatoren, Schaltgeräte   und   Steuergeräte,   Messgeräte,   Schutzeinrichtungen,   Kabel   und   Leitungen,   elektrische Verbrauchsmittel.“"

Der EU-Leitfaden zur Niederspannungsrichtlinie erläutert in diesem Zusammenhang in § 6 weiter:

"Generell erfasst die Richtlinie Konsum- und Investitionsgüter zur Verwendung innerhalb der genannten Spannungsgrenzen, insbesondere elektrische Geräte9, Beleuchtungseinrichtungen einschließlich Vorschaltgeräte, Schalt- und Steuergeräte, elektrische Motoren und Generatoren, Kabel und Leitungen, Gerätesteckvorrichtungen, Geräteanschlussleitungen, elektrische Installationsbetriebsmittel10, Kabelverlegungssysteme usw."
__________________________
9 Die LVD-Arbeitsgruppe (en: LVD Working Party (LVD WP)) kam überein, dass handgeführte und transportable elektrische Werkzeuge wie z. B. Elektrowerkzeuge und Rasenmäher nicht dem Anwendungsbereich der LVD zuzurechnen sind, sondern unter die Maschinenrichtlinie fallen.
10 Bei Isolierband hängt die Sicherheit nicht allein von den Eigenschaften des Bandes ab, sondern auch von der Art  der  Verwendung,  die  von  Fall  zu  Fall  sehr  unterschiedlich  sein  kann.  Isolierband  ist  kein  elektrisches Betriebsmittel  im  Sinne  der  Richtlinie.  Für  Isolierband  gilt  die  Europäische  Norm  EN 60454,  die  nicht  im Rahmen der Niederspannungsrichtlinie veröffentlicht wurde.

Ausgenommen von der Niederspannungsrichtlinie sind nach ihrem Anhang II:

  • Elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosionsfähiger Atmosphäre
  • Elektro-radiologische und elektro-medizinische Betriebsmittel
  • Elektrische Teile von Personen- und Lastenaufzügen
  • Elektrizitätszähler
  • Haushaltssteckvorrichtungen
  • Vorrichtungen zur Stromversorgung von elektrischen Weidezäunen
  • Funkentstörung
  • Spezielle elektrische Betriebsmittel, die zur Verwendung auf Schiffen, in Flugzeugen oder in Eisenbahnen bestimmt sind und den Sicherheitsbestimmungen internationaler Einrichtungen entsprechen, denen die Mitgliedstaaten angehören
  • Kunden- und anwendungsspezifisch angefertigte Erprobungsmodule, die von Fachleuten ausschließlich in Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen für ebensolche Zwecke verwendet werden.

Ausnahmen für bestimmte Bauteile:
Der EU-Leitfaden zur Niederspannungsrichtlinie erläutert in seinem "§ 7 Fallen Bauteile in den Geltungsbereich der Richtlinie", das bestimmte Bauteile nicht von der LVD erfasst sein sollen:

"[...] Aus den Zielen der Niederspannungsrichtlinie folgt, dass sie nicht für Grundbauteile gilt, deren Sicherheit überwiegend nur im eingebauten Zustand richtig bewertet werden kann und für die eine Risikobeurteilung nicht vorgenommen werden kann. [...]"

Hierzu wird in einer Fußnote festgestellt:
"11 Hierzu gehören u.a. aktive Bauteile wie integrierte Schaltkreise, Transistoren, Dioden, Gleichrichter, Triacs, GTO, IGTB und optische Halbleiter, passive Bauteile wie Kondensatoren, Induktionsspulen, Widerstände und Filter sowie elektromechanische Bauteile wie Verbindungselemente, Vorrichtungen zum mechanischen Schutz, die Teil der Betriebsmittel sind, Relais mit Anschlüssen für Leiterplatten und Mikroschalter."

D.h. die Beispielliste in der o.a. Fußnote steht im konkreten Einzelfall immer unter dem Vorbehalt, dass "deren Sicherheit überwiegend nur im eingebauten Zustand richtig bewertet werden kann und für die eine Risikobeurteilung nicht vorgenommen werden kann". Nur unter dieser Bedingung soll die hier beschriebene Ausnahme greifen.

Zu den Ausnahmen bestimmter Bauteile siehe auch:

 

Änderungen durch die aktuelle Richtlinie:
Wesentliche Punkte der o.a. Änderung in 2016 sind u.a.:

  • Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf das "Bereitstellen auf dem Markt" und damit die Erfassung der gesamten Liefer- und Vertriebskette.
  • Verpflichtung aller Wirtschaftsakteure in der Liefer- und Vertriebskette.
  • Verpflichtung des Einführers
    • nur konforme elektrische Betriebsmittel in Verkehr zu bringen.
    • sicherzustellen, dass der Hersteller des elektrischen Betriebsmittels ein geeignetes Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt hat.
    • der zuständigen Behörde ggf. die technischen Unterlagen des Herstellers zur Verfügung zu stellen.
    • das elektrische Betriebsmittel mit seinem Namen und seiner Anschrift zu versehen.
    • die EU-Konformitätserklärung 10 Jahre lang aufzubewahren.
  • Umbenennung der "EG-Konformitätserklärung" in "EU-Konformitätserklärung"
  • Fällt das elektrische Betriebsmittel unter mehrere EU-Bestimmungen, wird nur eine "gemeinsame" EU-Konformitätserklärung ausgestellt.
  • Durchführung einer Risikobeurteilung für das elektrische Betriebsmittel.

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Risikobeurteilung nach der Niederspannungsrichtlinie

Eine wesentliche Neuerung der Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU ist die Einführung einer Risikobeurteilung für elektrische Betriebsmittel. Für die Anforderung bzw. Durchführung der Risikobeurteilung macht die Niederspannungsrichtlinie keine Vorgaben. Allerdings liegen mit den EU-rechtlichen Vorgaben der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG sowie mit der harmonisierten Norm EN ISO 12100 EU-Standards für eine Risikobeurteilung vor, die problemlos auf Niederspannungsgeräte übertragen werden können. Damit gibt es grundsätzlich einen "Stand der Technik" für die Durchführung einer Risikobeurteilung von Produkten.

Geht man davon aus, dass

  • die Niederspannungsrichtlinie ebenso wie die Maschinenrichtlinie eine nahezu unendliche Anzahl von Produkten erfasst,
  • die Niederspannungsrichtlinie ebenso wie die Maschinenrichtlinie für die unter Ihren Anwendungsbereich fallenden Produkte bis auf den Umweltschutz alle Gefährdungen abdeckt,
  • diverse nahezu baugleiche Produkte nur auf Grund politischer Erwägungen unter die eine oder unter die andere Richtlinie fallen,
    • Waschmaschinen (Haushalt bzw. Industrie)
    • Staubsauger (Haushalt bzw. Industrie)
    • Elektromotoren (innerhalb bzw. außerhalb der Spannungsgrenzen der Niederspannungsrichtlinie )
    • Kopierer (gewöhnliche Büromaschinen bzw. nicht)
    • ...
  • Risiken zwischen beiden Richtlinien nicht ernsthaft unterschiedlich bewertet werden können,

ist es folgerichtig, dass man das Verfahren der Risikobeurteilung nach der EN ISO 12100 auch bei Produkten anwenden kann, die unter den Anwendungsbereich der Niederspannungsrichtlinie fallen. Das Verfahren funktioniert, weil

  • beide Richtlinien ein unter ihren Anwendungsbereich fallendes Produkt hinsichtlich aller Gefährdungen abdecken,
  • die Liste möglicher Gefährdungen damit "deckungsgleich" ist,
  • die Kriterien für das vom Gesetzgeber akzeptierte Risiko zwischen beiden Richtlinien nicht unterschiedlich sein können.

Dafür spricht auch, dass das Normungsinstitut CENELEC mit dem CENELEC Guide 32 in 2014 eine Anleitung für eine Risikobeurteilung nach der Niederspannungsrichtlinie veröffentlicht hat, die geradezu deckungsgleich mit dem Verfahren der Risikobeurteilung nach der EN ISO 12100 ist.

Für die Risikobeurteilung nach der Niederspannungsrichtlinie kann insofern auch das kostenlose Tool "MBT-RAT" problemlos verwendet werden.

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Verhältnis Maschinenrichtlinie / Niederspannungsrichtlinie

Die Niederspannungsrichtlinie ist keine spezielle Richtlinie für elektrische Gefährdungen im Sinne von Artikel 3 der Maschinenrichtlinie. Auch wenn der Titel "Bereitstellung elektrischer Betriebsmittel" diese Vermutung aufkommen lässt, ist die Niederspannungsrichtlinie eben keine Richtlinie allein für elektrische Gefährdungen, sondern eine sog. Vollproduktrichtlinie. D.h., sie deckt wie die Maschinenrichtlinie alle Gefährdungen eines Produktes ab.

Das Problem ist, dass viele Maschinen per Definition auch elektrische Betriebsmittel im Anwendungsbereich der Niederspannungsrichtlinie sind. Rechtssystematisch kann aber ein Produkt nicht unter zwei unterschiedliche EU-Vorschriften fallen, die zwar das selbe Ziel verfolgen, dies aber auf unterschiedlichen, sich ggf. widersprechenden Wegen, z.B. über unterschiedliche Konformitätsbewertungsverfahren. Insofern war es notwendig, die Maschinenrichtlinie und die Niederspannungsrichtlinie hinsichtlich der erfassten Produkte voneinander abzugrenzen.

Allerdings hat sich die Maschinenrichtlinie über Anhang I, Nr. 1.5.1 die Schutzziele der Niederspannungsrichtlinie für den Bereich "Elektrische Gefährdungen" zu eigen macht. In Anhang I, Nr. 1.5.1 ist in diesem Zusammenhang festgelegt, dass die Konformitätsbewertung und das Inverkehrbringen / die Inbetriebnahme einer Maschine hinsichtlich der elektrischen Gefährdungen ausschließlich nach der Maschinenrichtlinie erfolgt. Insofern kann die Niederspannungsrichtlinie auch nicht als "angewandte und eingehaltene Richtlinie" in der EG-Konformitätserklärung aufgeführt werden. Siehe hierzu ein Auszug aus § 222 des EU-Guides zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG:

"Die Konformitätserklärung für Maschinen, die der Maschinenrichtlinie unterliegen, darf also nicht auf die Niederspannungsrichtlinie verweisen."

Beachtet werden muss deshalb im Zusammenspiel der verschiedenen EG/EU-Richtlinien beim Inverkehrbringen / bei der Inbetriebnahme von Maschinen insbesondere die

Abgrenzung zwischen Maschinenrichtlinie und Niederspannungsrichtlinie

und im Zusammenhang mit der Risikobeurteilung von Maschinen ggf. auch die

Anforderung an elektrische Gefährdungen von Maschinen

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